Die Linke. diskutiert über Drogenpolitik und Cannabis im Straßenverkehr

Veröffentlicht am 20. November 2011
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Frankfurt. Unter dem Motto „Rolling stoned? Cannabis, Autofahren und rechtliche Grundlagen“ hatte „Die Linke. im hessischen Landtag“ zur drogenpolitischen Diskussion eingeladen. Trotz gut besetztem Podium mit Frank Tempel (Die Linke. im Bundestag)), Rechtsanwalt Dr. Leo Teuter (Frankfurt) und zwei von der Führerschein-Problematik betroffenen Cannabis-Aktivisten zählte die Diskussionsrunde unter der Leitung von Marjana Schott (drogenpolitische Sprecherin der linken Landtagsfraktion Hessen) leider nur 15 TeilnehmerInnen: Es scheint, dass „trockene Diskussionen“ nicht im Lifestyle-Trend liegen. Mit Infoständen waren die Initiativen „Grüne Hilfe- Netzwerk“ e.V. und „Alice-Project“ vertreten.


In ihrer Einleitung erläuterte Marjana Schott unter anderem die Position, dass niemand im akuten Rauschzustand am Straßenverkehr teilnehmen sollte, aber nachvollziehbare Regelungen und Grenzwerte erforderlich seien. Des Weiteren äußerte sie, dass es möglich sein müsse, abends einen Joint zu Rauchen, ohne am nächsten Tag mit einer Teilnahme am Straßenverkehr die Fahrerlaubnis zu gefährden.

Frank Tempel erläuterte, dass er seit zwei Jahren Bundestagsabgeordneter und inzwischen drogenpolitischer Sprecher der linken Bundestagsfraktion sei. Er sei vor seiner Abgeordnetentätigkeit als Kriminalbeamter in der Drogenbekämpfung tätig gewesen und habe sich bereits zu PDS-Zeiten für die Cannabis-Entkriminalisierung engagiert. Drogenpolitik sei ein politisches Randthema, das Die Linke. thematisieren wolle. Bezüglich der Drogen-Verbotspolitik äußerte er Zweifel an der Verhältnismäßigkeit: 95% der Strafverfahren bezüglich Drogen würden wegen Geringfügigkeit wieder eingestellt, was einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand zur Folge habe. Bezüglich der Problematik „Cannabis im Straßenverkehr“ bestehe bei PolitikerInnen anderer Fraktionen großenteils die ignorante Haltung, Drogen, auch Cannabis, seien halt illegal, dann sollen KonsumentInnen halt kein Autofahren… Er aber sehe hier die Notwendigkeit von nachvollziehbaren Regelungen, bei denen führerscheinrechtliche Maßnahmen erst greifen dürften, wenn tatsächlich eine Gefährdung vorliege. Ein erhöhtes Gefährdungspotential von „Cannabis im Straßenverkehr“ werde aber großenteils lediglich vermutet, ohne ausreichend nachgewiesen zu sein. Allgemein drogenpolitisch erläuterte er, dass der „Drogenkrieg“ auch nach Erkenntnissen der „Vereinten Nationen (UN)“ und vieler Sachverständiger gescheitert sei! Neue Wege der Liberalisierung und Regulierung des Drogenmarktes müssten angegangen werden. Die Linke. stehe schon seit PDS-Zeiten für die Entkriminalisierung der DrogenkonsumentInnen und perspektivisch für die Legalisierung durch Regulierung des Drogenmarktes. Der genaue Weg der Regulierung müsse noch weiter diskutiert werden, als Beispiele nannte er die Legalisierung von „Cannabis Social Clubs“ ( Ein Zusammenschluss erwachsener Cannabis-KonsumentInnen zum Cannbis-Eigenbedarfs-Anbau ohne kommerzielle Interessen) oder die Abgabe von Heroin in Apotheken.

Rechtsanwalt (RA) Dr.Leo Teuter aus Franfurt schilderte ausführlich die geltenden rechtlichen Regelungen bezüglich Straßenverkehrs-Ordnung und Fahrerlaubnisrecht: Wer unter dem Einfluss von Drogen am Straßenverkehr teilnimmt, begeht (zunächst) eine Ordnungswidrigkeit, die bei Erstauffälligkeit mit einer Geldbuße von 500€ (+ Verfahrenskosten), 4 Punkten in der Flensburg-Datei und einem Monat Fahrverbot geahndet wird. Eine Rechtsschutzversicherung, Verkehrsrechtsschutz, wurde Betroffenen seinerseits empfohlen. „Das Bundes-Verfassungsgericht hat entschieden, dass unter 1 ng TCH/ml Blut keine Ordnungswidrigkeit vorliegt. Dies bedeutet aber nicht, dass bei mehr als 1 ng automatisch eine Gefährdung vorliege, wie es in der tatsächlichen Praxis gewertet wird. Interessant ist hier, dass auch bei höheren Werten noch nicht unbedingt eine OWi vorliegt: Wenn der Fahrer nicht wusste, dass er unter dem angeblich objektiv bestehenden Einfluss von Cannabis stand und er dies auch nicht hätte wissen müssen, liegt keine Ordnungwidrigkeit vor, denn es fehlt am Vorsatz und auch an der Fahrlässigkeit. Bei echten Grenzwerten (z.B. 0,5 Promille Alkohol) kommt es darauf nicht an. Bei Auffälligkeit/ Gefährdung liegt nach § 316 StVO eine Straftat vor.“

Des weiteren wird verwaltungsrechtlich das Gefahrenabwehrrecht, Stichwort öffentliche Sicherheit?, der Fahrerlaubnisverodnung angewendet, nach der der Verdacht auf Drogenkonsum zu führerscheinrechtlichen Maßnahmen berechtigt. Nach Anlage 9 wird hierbei bei nachgewiesenem Heroin- oder Kokain-Konsum die Fahrerlaubnis „wegen grundsätzlicher Nichteignung“ entzogen. Die Anwendung des „Gefahrenabwehrrechts“ auf Cannabis-KonsumentInnen mit Anordnung von Drogenscreenings, Überprüfung der Fahrtauglichkeit bis zum Entzug der Fahrerlaubnis sieht RA. Dr. Leo Teuter als unverhältnismäßgen Teil des „War on drugs“. Kritisiert wurde hier seinerseits auch die unklare Unterscheidung von „gelegentlichem“ bzw. „regelmäßigem Konsum“. Kritisiert wurde seinerseits auch, dass nach §11 FeV die Beibringung einer ärztl. Untersuchung eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung angeordnet werden kann. Diese Begutachtung finde dann in den meisten Fällen kein abschließemdes Urteil und es werde zusätzlich eine mit erneuten Kosten verbundene MPU angeordnet. RA Dr.Teuter äußerte die Empfehlung, dass es bei entsprechender finanzieller Lage vorteilhaft sei, dort an einen entsprechenden Vorbereitungskurs teilzunehmen, wo auch die MPU durchgeführt werde. Er äußerte starke Zweifel, dass die derzeitige Verfahrensweise bezüglich „Cannabis im Straßenverkehr“ tatsächlich der Sicherheit des Straßenverkehrs diene…

Holger Tressin schilderte emotional, wie er ohne Auffälligkeit in eine Verkehrskontrolle geriet. Obwohl er kein regelmäßiger Cannabis-Konsument und bei der Verkehrskontrolle nicht akut berauscht gewesen sei, habe der Wischtest angeschlagen und er habe die Blutprobe über sich ergehen lassen müssen. Es kam schließlich zu Gerichtsverhandlung, Bußgeldbescheid und Führerscheinentzug durch die Führerscheinstelle. Er erläuterte, dass der nicht nachvollziehbare Führerscheinentzug bei seinem Beruf als Tourmanager existenzstörende Folgen habe. Er äußerte (verständliche) Wut, dass seine Teilnahme am Straßenverkehr als „berauschter Zustand“ gewertet werde, obwohl der letzte Konsum vor der Blutprobe mehr als 20 Stunden. zurück lag.

Cannabis-Patient Ralf schilderte zunächst, dass es ihm als ADHS-Patient mit Genehmigung des Bundesamtes für Arzneimittel möglich sei, mit Cannabis krankheitsbedingte Auffälligkeiten, wie aggressives Verhalten, innere Unruhe und starke Stimmungsschwankungen, zu lindern und „in den Griff zu bekommen“. Es sei ihm aber nicht bewusst gewesen, dass seine Cannabis-Medikation die Fahrerlaubnis gefährden könne. Anfang 2010 sei er dann aber in eine Verkehrskontrolle geraten, wobei zwischen der letzten Cannabis-Einnahme und der Blutprobe zig Stunden vergangen waren. Bereits bei der Kontrolle habe er darauf hingewiesen, dass er ärztlich verordnet den Cannabis-Wirkstoff Dronabinol als Medikament einnehme. Trotz Nachweises der medikamentösen Einnahme wurde die übliche Vorgehensweise mit OWi-Verfahren, Bußgeldbescheid und Aufforderung zur Abgabe der Fahrerlaubnis auch gegen Ralf angewendet. Er schilderte eindrucksvoll, dass es äußerst schwierig gewesen sei, der Fahrerlaubnisbehörde die medikamentöse Cannabis-Anwendung zu vermitteln, dies habe die Führerscheinstelle nach über einem Jahr aber schließlich anerkennen müssen. Trotzdem sei er der Anordnung einer Überprüfung seiner Fahrtauglichkeit ausgeliefert, wobei geklärt sei, dass aufgrund der ärztlich verordneten Cannabis-Medikation, die Urinprobe zwangsläufig auffällige THC-Abbauprodukte aufweisen werde. Ralf berichtete desweiteren, dass er bereits vor einigen Jahren an einer Fallstudie teilgenommen habe, die ihm unter THC-Einfluss „durchschnittliche, zum Teil überdurchschnittliche Leistungen in allen Tests zur Reaktionsgeschwindigkeit, Daueraufmerksamkeit, optischen Orientierung, Wahrnehmungsgeschwindigkeit, Wachheit und geteilter Aufmerksamkeit.“ (siehe www.cannabis-med.org , siehe IACM-Inforamtionen vom 29.September 2007 „THC normalisierte die gestörte psychomotorische Leistungsfähigkeit und die Stimmung bei einem Patienten mit einer Hyperaktivitätsstörung“) bescheinigt habe. Trotzdem sei der Ausgang seiner „Überprüfung der Fahrtauglichkeit“ vollkommen ungewiss und der (zumindest vorläufige) Verlust der Fahrerlaubnis habe den Verlust des Arbeitsplatzes und existenzielle Probleme zur Folge.

In der anschließenden offenen Diskussion kritisierte Jo Biermanski (Grüne Hilfe), dass die herrschende Politik seit 1998 das Fahrerlaubnisrecht in zunehmendem Maße als „Ersatzstrafmittel“ missbrauche. Die geltenden nicht nachvollziehbaren Regelungen bewirkten nicht mehr sondern weniger Verkehrssicherheit: „Wenn unklare Regelungen mit Grenzwerten, die über 20 Stunden nach dem letzten Konsum noch überschritten werden, angewendet werden, führt dies bei Cannabis-KonsumentInnen zur Frage „Warum soll ich mein Auto nach einem Joint 4 Stunden stehen lassen, wenn ich nach über 20 Stunden noch mit den gleichen fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen bedroht bin?“ Auch wenn in Studien ermittelt worden sei, dass Fahrten unter akutem Cannabis-Einfluss in etwa mit 0,5 Promille vergleichbar seien, sei in Gefahrensituationen eine verlangsamte Reaktion nicht auszuschließen. Er berichtete, dass internationale Verkehrsexperten einen Grenzwert von 5-10ng aktivem THC hier für angemessen halten. Er äußerte, dass es der „Linken“ hoch anzurechenen, dass sie sich öffentlich des emotionalisierten und strittigen Themas annehme. Des weiteren berichtete er, dass im DRUID-Projekt der EU, an dem 30 Institute aus 18 Ländern beteiligt waren, seit 2006 Daten zu Fahrten unter Alkohol, Drogen und Medikamenten gesammelt und nach methodischen Kriterien gewichtet wurden. Die Studie soll unter anderem Auskunft über die Verbreitung verschiedener Substanzen im Straßenverkehr, deren tatsächlichen Einfluss auf die Verkehrssicherheit und mögliche Sicherheitsmaßnahmen geben und die Ergebnisse wurden am 15.Oktober in Köln vorgestellt. ( Anmerkung des Verfassers: Leider lagen die Ergebnisse der Studie bei der Veranstaltung am 31.10. noch nicht vor. Die Studie wurde inzwischen veröffentlicht (siehe www.druid-project.eu), aber leider nur in englisch. Frank Tempel hat eine Übersetzung in Auftrag gegeben)

Der Beitrag eines weiteren Cannabis-Patienten belegte eindrucksvoll die herrschende Unklarheit und die Notwendigkeit von nachvollziehbaren Regelungen und entsprechenden Schulungen der ausführenden Organe: Er berichtete, dass sich seinerseits als Cannabis-Patient bei einer Kontrolle ebenfalls auffällige Blutwerte gezeigt hätten. Er habe, wie bereits bei Ralf geschildert, Bußgeldbescheid und die Aufforderung zur Abgabe der Fahrerlaubnis erhalten. Er bestreite derzeit den Rechtsweg und habe inzwischen vom mittelhessischen Polizeipräsidenten die schriftliche Bestätigung erhalten, dass der Bußgeldbescheid aufgrund der medizinischen Nutzung nicht hätte erfolgen dürfen. Der Betroffene schilderte emotional, dass sich hier die Frage stelle, ob seitens der Polizei dann aber die Führerscheinstelle informiert werden durfte.

Die Diskussion „Rolling stoned?…“, organisiert von der drogenpolitischen Sprecherin der linken Fraktion im hessischen Landtag, Marjana Schott, vermittelte wichtige rechtliche Grundlagen, verdeutlichte Klärungs- und Handlungsbedarf im Sinne „tatsächlicher Verkehrssichrheit statt Missbrauchs als Ersatzstrafmittel“ und führte gleichzeitig zu allgemeiner drogenpolitischer Diskussion. Abschließend bleibt zu hoffen, dass dies weiterhin öffentlich thematisiert wird und sich auch andere Parteien des Themas „Cannabis im Straßenverkehr“ im Dialog mit Betroffenen annehmen.

Artikelvorlage für grow! Magazin Nr.1/ 2012

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