Pro Kilogramm droht mehr als ein Jahr Gefängnis
Veröffentlicht am 20. März 1999
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Die Strafen bei Cannabis-Verstössen sind oft äusserst hart. Neun Jahre Knast für sieben Kilo. Der Verein Grüne Hilfe steht verfolgten Konsumenten mit Rat und Rechtsanwälten zur Seite
„Das ganze Gerede über Resozialisierung ist Unsinn“, erzählt Hans-Peter Haderlein, der gerade eine Haftstrafe von acht Jahren abgesessen hat. „Was ich erlebt habe, war der reine Verwahrvollzug zur Zerstörung des Individuums.“ 1991 hatte ihn das Augsburger Gericht zunächst zu neun Jahren verurteilt, nachdem er durch einen Kronzeugen belastet worden war. Haderlein beteuert, den Zeugen nicht einmal gekannt zu haben. Das Gericht sah Besitz und Einfuhr von siebeneinhalb Kilo Haschisch als erwiesen an, obwohl, so Haderlein, nicht ein Gramm bei ihm gefunden worden sei. Allerdings sei dies seine zweite Verurteilung in Drogensachen gewesen, und er habe sich auch nicht so kooperativ verhalten, wie der Richter es sich wohl erhofft hatte.
Die Erfahrungen, die Haderlein in mehreren Justizvollzugsanstalten gemacht hat, hat er nach zweieinhalb Monaten in Freiheit noch lange nicht verdaut. Er ist überzeugt, dass Häftlinge, die wegen Betäubungsmitteldelikten einsitzen, besonders schlecht behandelt werden. Als Betäubungsmittelfall, so Haderlein, werde man im Vollzug „weit unter jedem Unhold und Kinderschänder eingestuft“ und das auch, wenn es nur um die weiche Droge Cannabis geht.
Dass überhaupt Haftstrafen in reinen Cannabis-Fällen verhängt werden, stösst bei der Grünen Hilfe, einem Verein, der Kiffern bei Problemen zur Seite steht und Kontakte zu erfahrenen Anwälten vermittelt, auf Unverständnis. Schliesslich sei die Wirkung von Haschisch nicht annähernd so zerstörerisch wie die mancher legaler Drogen. Tatsächlich stehen die Chancen auf Einstellung des Verfahrens gar nicht schlecht, wenn Cannabis in geringen Mengen gefunden wird, die dem Eigenbedarf dienen. Der Berliner Anwalt Martin Poell erklärt: „Wenn man durch ein anwaltliches Schreiben eine Einstellung anregt, wird dem oft entsprochen.“ Voraussetzung ist, dass die Klienten ein sauberes Vorstrafenregister haben, die Cannabis-Produkte nicht in die Bundesrepublik eingeführt haben und dass nicht der Eindruck besteht, sie würden damit Handel treiben. Welches Strafmass die Gerichte vorsehen, hängt nicht zuletzt davon ab, ob in der Region öfter Cannabis-Delikte vorkommen. Der Rechtsanwalt Herbert Posner erinnert sich: „1994 wurden in Zwickau 400 Gramm als ein grosser Fall hingestellt.“ Vier Jahre Haft hatte das Landgericht zunächst verhängt, später wurde das Urteil vom Bundesgerichtshof (BGH) abgemildert. Leider, so Posner, könne man sich nicht darauf verlassen, dass der BGH immer eingreife, wenn einzelne Landgerichte überzogene Strafen forderten.
Nicht alle Betroffenen nehmen die bei Betäubungsmittelverstössen drohenden Strafen überhaupt ernst. Regelrecht naiv gingen vier Plauener vor, die Ende 1996 zu Haftstrafen von vier Jahren, drei Jahren, zweieinhalb und anderthalb Jahren verurteilt wurden. Bei regelmässigen Fahrten nach Holland hatten sie um die sieben Kilo Haschisch und Marihuana eingeführt, um den Plauener Markt damit abzudecken, und verkauften es im Tattooladen des Hauptangeklagten. Dabei machten sie offenbar keine Anstalten, den Verkauf geheimzuhalten. Posner vertrat damals den Angeklagten, der für die buchhalterische Seite der Importgeschäfte zuständig war, und erklärt: „Sie hatten immer wieder betont, dass sie harte Drogen ablehnen und bewusst keinen Markt für sie schaffen wollten.“ Die öffentliche Diskussion um die Legalisierung weicher Drogen mit ihren namhaften Vertretern habe, so die Richter in der Urteilsbegründung, offenbar dazu geführt, dass einige Angeklagte zwar um die Strafbarkeit ihres Tuns wussten, diese aber nicht ernst nahmen. In den Haftstrafen, die sie verhängten, waren schon mehrere mildernde Umstände berücksichtigt, unter anderem, dass die Angeklagten sich auf weiche Drogen beschränkt hatten.
Solange die Rechtslage sich nicht ändert, werden auch weiterhin sinnlose Haftstrafen in Cannabis-Fällen ausgesprochen werden – insbesondere bei kleinen Mengen seien Haftstrafen kontraproduktiv, so die Grüne Hilfe. Eine Mitarbeiterin des Vereins bezweifelt, dass wegen Hanf Verurteilte als geläuterte Mitglieder der Gesellschaft aus der Haft zurückkommen: „Gerade Jugendliche, die wegen verhältnismässig kleiner Mengen in den Knast müssen, werden dort erst richtig aus der Bahn geworfen.“
Martin Kaluza
Quelle: taz vom 20.3.1999