Briefe aus dem Knast von Daniel Schnikal (JVA Koblenz)

Veröffentlicht am 4. Dezember 2008
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Briefe aus dem Knast/ D.Schnikal (JVA Koblenz) II

Hallo,
habe wieder ein paar Zeilen, die Ihr vielleicht für mich veröffentlichen könnt.

Ich habe ungefähr zwei Monate mit einem Gefangenen aus Stuttgart zusammengelegen, der auf Grund seiner Suchtprobleme hier in U-Haft einsaß. Er hatte große psychische Probleme, Depression, Angstzustände sowie Verlustängste. Diesbezüglich hat er jede Woche aufs Neue bei der Anstaltsärztin vorgesprochen und um Hilfe gebeten, eventuell Vorstellung beim Psychiater und so weiter. Geholfen hat man ihm soweit, dass er für fünf Tage das Medikament Tavor (0,5 mg) bekam mit dem Schlusssatz: Wir wollen sie nicht medikamentenabhängig machen!

In dieser Zeit konnte er am Alltag wieder vernünftig teilnehmen, ist ein bisschen aus sich rausgekommen und hat sich geöffnet. Nach den fünf Tagen fiel er wieder in sein altes Loch, Nervosität, Schweißausbrüche! Wieder ist er zum Anstaltsarzt, hat seine Situation geschildert und um Hilfe gebeten. Nur diesmal bekam er nicht Travor, sondern Baldriandragees. Ja, richtig gelesen, Baldrian. Man wolle ihn ja nicht abhängig machen. Leider bin ich selber psychisch krank und komme ohne Medikamente nicht aus und musste dann auf Einzelzelle, konnte nicht mit ansehen, wie er von Tag zu Tag kaputt geht. Auch er ist in einem Einzelhaftraum.

Habe mich dann jeden Hofgang mit ihm beschäftigt, ihm zugehört und versucht hier und da Ratschläge zu geben. Irgendwann kam ich wieder auf den Hof und er war nicht mehr da, habe erfahren, dass man ihn verlegt hat auf eine so genannte „Überwachungszelle“. Es gab Minuten, wo ich mir große Vorwürfe gemacht habe, ihn sich selber zu überlassen.

Kurze Zeit später lief er bei der Freistunde am Zaun vorbei, total abgemagert und den Hals verbunden. Das war kein schöner Anblick. Habe dann erfahren, dass er sich das Leben nehmen wollte. Man hat ihm die Brille (Lesebrille) mit in die Ü-Zelle gegeben und damit hat er versucht, sich die
Halsschlagader aufzuschneiden, was ihm zum Glück nicht gelungen ist. Und alles nur, weil man zu geizig ist, ihm Medikamente zu geben oder einem Psychiater vorzustellen, worum er mehrfach gebeten hat! Zwei Wochen später ging meine Zellentür auf, gegen Mittag und da stand er auf einmal mit einem
Korb, Süßigkeiten, Tabak, Kaffee usw., Tränen in den Augen, ist mir um den Hals gefallen und hat sich bedankt, dass ich jeder Zeit ein offenes Ohr für ihn hatte und er es geschafft hat und er entlassen wird. Ich habe viel hier in Gefangenschaft erlebt aber noch nie einen Menschen mit soviel Traurigkeit und Ängsten in den Augen gesehen wie diesen Mann. Keiner hat es hier mehr verdient hier rauszukommen wie er. Mache mir oft Gedanken um ihn, da ich seine Lebensgeschichte kenne und einige Situationen gut nachvollziehen kann, weil auch ich solche Momente im Leben hatte!

Im Grunde genommen bräuchte er nur einen Menschen der ihm zuhört, ihn hin und wieder lobt und ihm sagt; wenn was ist, bin ich da, hör dir zu! Fritz, vielleicht hörst Du von diesem Schreiben, nimm Dir dies zu Herzen und denke darüber nach: STARK SEIN BEDEUTET NICHT; NIE ZU FALLEN. STARK SEIN BEDEUTET; IMMER WIEDER AUFZSTEHEN!!! Wo ich bin weißt Du ja, falls Du jemanden brauchst, der Dir zuhört, lass es mich wissen!

Seid diesem Tag frage ich mich oft, wann fängt die Würde an und wo hört sie auf???

Hätte noch eine kleine Sache, die meiner Meinung nach sehr wichtig ist. Wie ich schon erwähnt habe, bin ich selber psychisch sehr angeschlagen und komme ohne Medikamente nicht mehr aus. Die Nebenwirkung ist halt, dass die Leber sehr in Mitleidenschaft gezogen wird. Habe mehrfach versucht, Leberschonkost sowie vitaminreiche Ernährung zur Unterstützung des Immunsystems zu bekommen, aber alles ohne Erfolg. Laut JVA-Arzt wäre das in meinem Falle nicht notwendig, er hätte zum Schluß noch einen guten Tipp, soll mir beim Einkauf Äpfel kaufen, da ist alles drin, was meine Leber
braucht! Frage mich, was ich noch alles von 30 Euro im Monat kaufen soll. Ich finde es sehr beschämend, dass man nicht einen Cent für Obst und Gemüse für solche Fälle freigibt, man lieber das Geld in neue Beamtenuniformen steckt, die erst vor wenigen Jahren erneuert wurden. Im Grunde genommen ist in der heutigen Zeit ein Menschenleben nichts mehr wert und das nennt man
dann ZIVILISATION!

Ich hoffe, …, dass Du meinen Brief öffentlich machst…ich denke die Gesellschaft hat ein recht darauf zu erfahren, was hinter den verschlossenen Türen der Justiz passiert, da es ihnen auch ganz schnell passieren kann, dass sie selber in die Situation kommen!

Daniel Schnikal, z.Zt. JVA, Simmernerstraße 14a, 56075 Koblenz
Daniel freut sich über Zuschriften.

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