Ein Verfassungsrichter über Durchsuchungsbefehle

Veröffentlicht am 4. November 2011
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Die taz veröffentlichte am 28.10.2011 ein Interview mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Mellinghoff. Dieser wechselt zum Bundesfinanzhof. Ein Gespräch über die Grenzen des Privaten, Durchsuchungen wegen Falschparkens und überlastete Richter. Komplett bei der taz, hier ein paar interessante Passagen:

taz: Herr Mellinghoff, am Bundesverfassungsgericht waren Sie elf Jahre lang für die Prüfung von Hausdurchsuchungen zuständig. Sind Sie eigentlich mal selbst durchsucht worden?

Zum Glück nicht. Aber wenn ich am Schreibtisch saß und solche Fälle bearbeitet habe, versuchte ich durchaus, mir das vorzustellen, um ein Gefühl für die Situation zu bekommen.

Welche Bilder hatten Sie dabei im Kopf?

Dass plötzlich fremde Menschen in meine Wohnung kommen, alle Schränke und Schubladen öffnen, sehen, wie ich lebe, welche Interessen ich habe oder wie es zum Beispiel in meinem Schlafzimmer aussieht. Und dass auch alle Nachbarn den Polizeieinsatz mitbekommen und sich fragen, was ich wohl verbrochen habe. Nur wenn man sich das plastisch vorstellt, kann man ermessen, welch schwerer Grundrechtseingriff so eine Durchsuchung ist.

Welche Bedeutung hat die Wohnung im Grundgesetz?

Sie ist geschützt als Ort der Privatheit und des Rückzugs. Die grundsätzliche Unverletzlichkeit der Wohnung ist für den Schutz der Privatsphäre von zentraler Bedeutung.

Wie sieht es mit dem Schutz der Wohnung in der Praxis aus?

Leider nicht so gut. In den Jahren 2005 bis 2008 betrafen immerhin 20 Prozent aller erfolgreichen Verfassungsbeschwerden eine Wohnungsdurchsuchung. Das waren zwanzig bis dreißig Beanstandungen pro Jahr. Seitdem ist der Anteil etwas zurückgegangen, vielleicht auch als Reaktion auf unsere Rechtsprechung. Aber die Zahl verfassungswidriger Durchsuchungen ist immer noch bedenklich hoch.

In der Öffentlichkeit ist das kaum ein Thema.

Das wundert mich auch. Ich halte das nicht für angemessen.

Was sind die häufigsten verfassungsrechtlichen Probleme bei Durchsuchungen?

Viele Durchsuchungen verstoßen gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Dabei stehen Anlass und Ermittlungsziel in keinem vertretbaren Verhältnis mehr zur Schwere des Grundrechtseingriffs.

Gibt es typische Konstellationen?

Da wird nach Beweismitteln gesucht, die der Polizei schon vorliegen. Oder es wird angeblich nach Entlastungsbeweisen gesucht – dabei kann der Beschuldigte diese ja selbst ins Verfahren einbringen. Da wird durchsucht, obwohl eine Information auch auf andere Weise beschafft werden könnte, etwa über staatliche Register. Da wird ohne handfesten Verdacht und nur aufgrund vager Anhaltspunkte und Vermutungen einfach mal die Wohnung durchsucht.

Eine Wohnungsdurchsuchung dient aber nicht dazu, einen Tatverdacht erst zu begründen. Sonst könnte man jede Wohnung durchsuchen und ohne weitere Rechtfertigung die Privatsphäre der Bürger ausforschen.

Hat die Polizei zu viel Zeit?

Wenn man liest, dass eine Wohnung wegen Falschparker-Bußgeldern in Höhe von 15 Euro durchsucht wird, kann man kaum glauben, dass Polizei und Justiz so furchtbar überlastet sind. Manchmal hat man den Eindruck, da geht es noch um etwas anderes als um Strafverfolgung.

Worum?

Zum Beispiel um Einschüchterung und Disziplinierung. Dazu sind Hausdurchsuchungen im Rechtsstaat aber ganz sicher nicht da.

[..]

Grundsätzlich muss jede Wohnungsdurchsuchung vorab von einem Richter genehmigt werden. Funktioniert dieser Richtervorbehalt?

Angesichts der unzähligen Durchsuchungen, die jedes Jahr von der Polizei durchgeführt werden, gibt es ja relativ wenig Beanstandungen des Bundesverfassungsgerichts. Hinzurechnen müsste man allerdings Fälle, bei denen bereits die Fachgerichte eine Durchsuchung für rechtswidrig erklärt haben.

Sind das alles Einzelfälle oder gibt es einen verbreiteten Mangel an Sensibilität?

Was mich beunruhigt, sind Fallkonstellationen, die ganz eindeutig rechts- und verfassungswidrig sind und trotzdem von Richtern durchgewinkt werden. Das ist ein Indiz dafür, dass die Maßstäbe nicht nur im Einzelfall etwas verrutscht sind. Da ist es gut, wenn das Bundesverfassungsgericht gelegentlich den Finger in die Wunde legt. Die Durchsuchung darf keine Standardmaßnahme werden.

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