Sicherungsverwahrung kontra Menschenrecht: Auch wegen Drogen-/Hanfhandel !

Veröffentlicht am 26. Juni 2011
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Nach Urteilen des Europäischen Gerichtshof und des Bundesverfassungsgerichts (www.bundesverfassungsgericht.de, siehe Entscheidungen, siehe Mai 2011) wird das Thema Sicherungsverwahrung (SV) derzeit kontrovers diskutiert. Wenig Beachtung findet dabei bisher die Tatsache, dass SV in Deutschland keinesfalls nur bei Gewalt- und Sexualdelikten angewendet wird.: Nach Informationen von Rechtsanwalt (RA)Sebastian Scharmer ( Kanzlei Hummel & Kaleck/ Berlin) besteht derzeit gegen circa 500 Inhaftierte SV. Desweiteren ist gegen rund 800 weitere Inhaftierte, die derzeit noch ihre „normale Strafhaft“ verbüßen, bereits SV angeordnet. Die Zahl der SV-Anordnungen ist stetig steigend…

Wie RA Scharmer berichtet sind aus dem Justizministerium keine genauen Angaben zu erhalten, wg. welcher Delikte Sicherungsverwahrung angeordnet wurde. Im Groben ist Sicherungsverwahrung nur zu knapp 50 Prozent gegen Sexualstraftäter angeordnet, gefolgt von der Gruppe der Straftäter wg. Raub, es folgen Gewaltdelikte. Aber auch wg. Drogenhandel und Eigentumsdelikten wurde Sicherungsverwahrung angeordnet.

RA Scharmer vertritt derzeit 3 Mandanten betreffs Sicherungsverwahrung wg. Drogenhandel, eine Kollegin 2 weitere. Gegen 2 wurde Sicherungsverwahrung ausschließlich wg. Haschisch-Handel angeordnet. Hier stellt sich die Frage, ob bei Sicherungsverwahrung wg. Drogen-/Hanfdelikten die Verhältnismäßigkeit der Mittel noch gewährleistet ist!
Im Dezember 2010 wurde ein neues Gesetz zur Sicherungsverwahrung verabschiedet. Die Fraktionen von Bündnis’90/ Die Grünen und Die Linke. beantragten unter anderem, die Anordnung bei Betäubungsmitteldelikten auszuschließen. Während aber seit dem 01.01.2011 Sicherungsverwahrung bei Eigentumsdelikten ohne Gewaltanwendung nun ausgeschlossen ist, wurden Betäubungsmitteldelikte ausdrücklich im Gesetzestext aufgenommen. Dies lässt einen sicheren Anstieg der Anordnungen auch bei Straftaten lediglich wg. Hanfhandel prognostizieren…

Hans-Walter Hirth, Sprecher der linken Basisgruppe der JVA Schwalmstadt, sieht als Langzeitbeobachter der SV eine „Neue Deutsche Selektion“: „Eingeführt 1933, mit zahlreichen Änderungen angepasst an die jeweilige Zeit. Dem Verurteilten wird die Freiheit genommen. Dies verstößt zwar gegen Europäisches Recht, die Deutschen aber wollen anderer Meinung sein: Mit Gefährlichkeitsprognosen von Sachverständigen, sog. Gutachten, sollen Richter eine Prognose für die Zukunft erkennen und Urteile finden. Es ist absehbar, dass auch die neuen Gesetze selektierend auf einen Teil der Gefangenen zukommen. Wenn für alle, für dies es laut Gesetz möglich wäre, SV ausgesprochen würde, wären dies jährlich mehrere tausend Fälle. Es wird weiterhin bei Strafen mit bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe, wie auch bei schwerem wirtschaftlichen Schaden möglich sein zu selektieren: Es werden weiterhin Haschischhändler, Geldfälscher, Geldräuber, usw. zur Neuen SV verurteilt und die Neue hat keine zeitliche Begrenzung.“
In der Anhörung des Rechtsausschusses des Bundestages zur SV erklärte RA Scharmer zur „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ als Vertreter des „Republikanischen AnwältInnenvereins“ SV ist das schärfste Mittel der Kriminalpolitik. Allein auf eine – unzweifelhaft immer unsichere –Gefahrenprognose gestützt, wird Menschen die Freiheit auf unbestimmte Zeit entzogen. Unabhängig von der in Deutschland bestehenden menschenunwürdigen Vollzugspraxis, dem fehlenden Trennungsgebot und den fehlenden Resozialisierungsmöglichkeiten, stellt eine Freiheitsentziehung auf unbestimmte Dauer aufgrund von präventiv ausgestalteten Sicherheitsansprüchen eine Maßnahme dar, die – wenn überhaupt – nur unter verschärften Verhältnismäßigkeitsanforderungen angeordnet und vollstreckt werden dürfte. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit ausgeführt, dass SV als letztes Mittel des staatlichen Schutzauftrages zwar ein mögliches
Instrumentarium darstellt. Entgegen anderweitigen – weit verbreiteten irrgläubigen –
Darstellungen hat das Bundesverfassungsgericht damit allerdings gerade nicht gesagt, dass
die Beibehaltung der SV auch verfassungsrechtlich notwendig wäre. Vielmehr ist dem Gesetzgeber bei der Ausübung seines staatlichen Schutzesauftrages ein weitgehendes Ermessen eingeräumt. Er hat insoweit abzuwägen, ob anderweitige Mittel und Möglichkeiten vorhanden sind, mit denen der Schutzauftrag der Allgemeinheit zumindest umgesetzt werden kann. Das ist nach unserer Auffassung der Fall.
Mit einer frühzeitig, bereits während der Vollstreckung der Strafe begonnenen Sozialtherapie, die über einen langen Zeitraum auch mit einer Erprobung der Gefangenen begleitet wird, kann die Gefahrenprognose bereits während des Vollzuges der Strafhaft grundlegend verbessert werden. Bei einer engen Anbindung an Hilfsinstitute bei der Entlassung in die Freiheit, kann eine Wiedereingliederung auch nach schwerwiegenden vorangegangenen Straftaten wesentlich sinnvoller erfolgen, als dies mit den sehr begrenzten personellen und sachlichen Mitteln derzeit der Fall ist. Auf diese Weise können die Prognosen aller Gefangenen – auch der von SV betroffenen – erheblich verbessert und damit Rückfallquoten insgesamt wesentlich deutlicher gesenkt werden als durch das Suggerieren von Sicherheit über das unbegrenzte Wegsperren Einzelner im Rahmen der Sicherungsverwahrung. Dabei muss man sich allerdings der Tatsache bewusst sein, dass es eine absolute Sicherheit nicht geben kann. In einer freiheitlich ausgeprägten Demokratie wird es – so belastend das auch im Einzelfall sein mag – immer Kriminalität geben.
Der staatliche Schutzauftrag kann insoweit nur dahin gehen, diese Kriminalitätsrate nach Möglichkeiten und unter Beachtung verfassungs- und menschenrechtlicher Vorgaben zu verringern. Dies ist durch ausreichende Resozialisierungs- und Wiedereingliederungsangebote wesentlich effektiver und menschenwürdiger möglich, als durch das Wegsperren Einzelner, deren Auswahl –jedenfalls nach den bislang vorliegenden Studien – eher zufällig erfolgen dürfte…Durch eine wesentliche Verbesserung des Behandlungsvollzuges, entsprechende Erprobungsmöglichkeiten für Inhaftierte und durch multidisziplinäre sachverständige Begleitung und Evaluation des Vollzuges können bei einer engen Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe und den freien Trägern Rückfalltaten insgesamt wesentlich besser vermieden werden, als durch perspektivloses Wegsperren von Einzelnen. Insofern ist dieser milderen und effektiveren Möglichkeit auch gesetzlich der Vorrang zu gewähren. Die Sicherungsverwahrung ist abzuschaffen.“
Ein Beispiel für die Anordnung von Sicherungsverwahrung ausschließlich wg. Haschisch-Handel ist der Fall von S.N., der inzwischen von RA Scharmer vertreten wird: 1987 und 1995 wurde S.N. wg. Handel mit Cannabisprodukten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Nach verbüßter Haftstrafe wurde er 2007 wegen Handel mit Cannabisprodukten in nicht geringer Menge in 8 selbstständigen Fällen (10- 40 Kilogramm pro Fall) jeweils in Tateinheit mit Anstiftung zur Einfuhr in nicht geringer Menge vom Landgericht München zu 10 Jahren Haft verurteilt. Gleichzeitig aber wurde Sicherungsverwahrung angeordnet, im Urteil wie folgt begründet: „Die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung sind durch die hier zur Verurteilung gelangten Taten für die der Angeklagte jeweils Einzelstrafen weit jenseits von 3 Jahren Freiheitsstrafe verwirkt hatte, erfüllt. Das Gericht hält den Angeklagten auch für gefährlich aufgrund seines Hanges zu erheblichen Straftaten im Sinne §66 Abs.1 Nr.3 StGB. Es ist auch künftig mit vergleichbaren Verbrechen des Angeklagten, insbesondere dem Handeltreiben mit Cannabis im großen Stil, zu rechnen….Ungünstig wirke sich aus, dass der Angeklagte nicht nur den Gebrauch der Droge Haschisch, sondern auch sein eigenes Tun bagatellisiere…“

Zu den Anordungsmöglichkeiten der Sicherungsverwahrung erklärte RA Scharmer in der Anhörung zum Gesetzentwurf, der zum 01.01.2011 in Kraft getreten ist: „Der Gesetzesentwurf spricht vorweg davon, dass die Sicherungsverwahrung auf Gefahren durch schwerwiegende Delikte gegen Leib, Leben, körperliche Unversehrtheit und sexuelle Selbstbestimmung begrenzt werden soll. Gleichzeitig ist allerdings eine solche
Beschränkung nicht vorgesehen. Hiernach soll SV dann im Urteil angeordnet werden können, wenn jemand – ggf. bei Vorbelastung – zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist. Die weiteren Voraussetzungen werden allein in § 66 Abs. 1 Nr. 4 benannt: namentlich der Hang zu erheblichen Straftaten, ohne dass diese deliktsspezifisch eingeschränkt werden. Als Regelfälle („namentlich“) werden hierfür die schwere körperliche oder seelische Schädigung von potentiellen Opfern genauso wie die Verursachung schweren wirtschaftlichen Schadens benannt. Insofern wird der Gesetzesentwurf gerade der Prämisse, die Sicherungsverwahrung auf schwere Gewalt- und Sexualstraftaten zu beschränken, nicht gerecht.
Vielmehr besteht eine Anordnungsbefugnis weiterhin auch bei gemeingefährlichen Delikten und im Rahmen der Betäubungsmittelkriminalität fort. Beispielhaft soll hier nur der gewerbs- und bandenmäßige Betrug, die gewerbs- und bandenmäßige Urkundenfälschung oder aber das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge genannt werden. Dabei kommt es nach wie vor nicht darauf an, ob Gewalt angewendet wurde oder aber Opfer der Tat schwere körperliche oder seelische Schäden erlitten haben. Wenn es bei der Anordnung der SV verbleibt, muss eine klare Beschränkung auf schwerste Gewalt- und Sexualdelikte erfolgen. Betäubungsmitteldelikte sowie Delikte, bei denen niemand gravierenden körperlichen oder seelischen Schaden genommen hat, müssen aus dem Anwendungsbereich entfallen. Insofern wird vorgeschlagen, im Rahmen von § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB einen klaren Katalog von Straftaten aufzuführen, die die Anordnung der Sicherungsverwahrung formell rechtfertigen können. Darunter gehören nach hiesiger Auffassung allenfalls
Kapitalverbrechen und Sexualdelikte. Es muss materiell klargestellt werden, dass SV ausschließlich dann angeordnet werden kann, wenn die erhebliche Gefahr der schweren körperlichen oder seelischen Schädigung von Opfern besteht. Dies darf nicht als Regelbeispiel festgehalten werden, sondern muss eine klare Anordnungsvoraussetzung sein.“

Während also beispielsweise in den Niederlanden der Verkauf von Cannabisprodukten seit Jahrzehnten geduldet und praktiziert wird ohne die „öffentliche Sicherheit“ zu gefährden, wird die Sicherungsverwahrung in Deutschland auch gegen Hanfhändler „missbraucht“.
Durch das Urteil des BVerfG vom 04.05.2011 sieht sich RA Scharmer in der Notwendigkeit grundsätzlicher Änderungen zur SV bestätigt. Das BVerfG fordert u.a. eine strikte Trennung der Unterbringung in Strafhaft von SV-Unterbringung und hat festgeschrieben, dass einem freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzug Rechnung getragen werden müsse. Hier fordert das BVerfG, ein entsprechendes Gesamtkonzept der Sicherungsverwahrung zu entwickeln und normativ festzuschreiben. Die zuständigen Vollstreckungsgerichte haben.nun unverzüglich zu überprüfen, ob die Voraussetzungen der Fortdauer einer SV gegeben sind. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, ordnen die Vollstreckungsgerichte die Freilassung der betroffenen Sicherungsverwahrten spätestens mit Wirkung zum 31. Dezember 2011 an. Die vom BVerfG beschlossenen Bedingungen an die SV-Unterbringung sind bis spätestens 2013 umzusetzen. In der nun anstehenden politischen Diskussion und Umsetzung des Urteils sieht RA Scharmer eine neue Chance, auch die SV gegen Hanf-Händler erneut in Frage zu stellen.
(grow! 4/ 2011)

One Response to “Sicherungsverwahrung kontra Menschenrecht: Auch wegen Drogen-/Hanfhandel !”

  1. Arne Says:

    Die Sicherheitsverwahrung findet doch meines Wissens nach in der Forensik statt. Dort dienen die Sträflinge zur Erprobung neuer Pharma-Präparate. Die Psychopharmaka sind jedoch kaum, wenn überhaupt gegen die diagnostizierten Krankheiten wirksam und man/frau hat den Verdacht, das die Konzerne auf Kosten von „Kranken“ ausprobieren, welche Nebenwirkungen sie durch Chemikalien erzielen können.

    Ich selbst habe eine Fehldiagnose und war deshalb schon viele Male in die Psychiatrie eingeliefert worden. Die Psychosen-Statistik ist heute über einem Prozent, daran sieht man leicht, das auch Fehldiagnosen absichtlich gestellt werden um den Einsatz von Neuroleptika zu genehmigen.

    Diese Mittel löschen das Mißtrauen des „Behandelten“ aus und man/frau glaubt den Weißkitteln schließlich die Fehldiagnosen.

    Ich sah einmal einen Unterbringungsbeschluß von einem „Patienten“ der über ein ganzes Jahr ausgestellt war… Sein Name war in der Kopfzeile einmal erwähnt, dann hieß er nur noch: der Proband!!!

    Das ist leider die Realität wie die richterliche Gewalt heutzutage agiert. Die Richter sind ja keine Ärzte und hören immer auf deren Diagnostik, ein Richter segnet dann Dinge ab, von denen er keine Ahnung hat!

    Das Wohl eines Menschen liegt den „Krankenhäusern“ schon längst nicht mehr am Herzen: der hippokratische Eid ist nicht mehr zu leisten und die Steuerzahler werden über die Krankenkassen zur Ader gelassen. Es ist nicht zu fassen, was eine Einzige Pharma-Tablette kostet. Manche kosten über 10€ und man muß sie jeden Tag nehmen, sonst knallt man wegen der Entzügigkeit durch, falls man sie absetzt!!!

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